Nikonow, der Hitler-Stalin-Pakt und die EU

George Soros, der berühmte Milliardär, und die deutsche Großindustrie schulden mir Geld. Zumindest, wenn man Wjatscheslaw Nikonow glauben will. Er verbreitete seinerzeit jedenfalls die Behauptung, dass ich während meiner Korrespondententätigkeit in Moskau (1998 bis 2010 für die Welt) aus diesen beiden Quellen bezahlt worden sei. Das Geld habe ich freilich nie gesehen. Diese aus seiner Sicht nur kleine Falschmeldung, heute nennen wir es Fakenews, schadete seiner Karriere nicht. Der kremltreue Politologe stieg auf vom einfachen Duma-Abgeordneten zum Vorsitzenden des Parlamentskomitees für Bildung. Auch leitet er die von Putin initiierte Stiftung Russische Welt, die mit rund 100 Vertretungen weltweit agiert.

Auf einer Tagung in der russischen Duma im Januar 2020 reihte er sich ein in die Phalanx der lobenden Befürworter des Molotow-Ribbentrop-Paktes vom August 1939, mit dem Stalin Hitler den Weg zum Beginn des zweiten Weltkrieges freimachte. Mit dem Geheimprotokoll wurde die Teilung Europas zwischen beiden Diktatoren vereinbart. Wer das kritisiert, greift Nikonow zufolge die Grundlagen des russischen Staates an. Dem gilt es entgegenzutreten. Sein Alleinstellungsmerkmal: Die Europäische Union gerät ihm zu einer aus der Hitlerzeit stammenden Organisation.

Und das ist seine Geschichte. Der „Große Sieg“, gemeint ist der unbestreitbar große Anteil der Sowjetunion an der Zerschlagung von Hitler-Deutschland, ist Nikonow zufolge „eines der wesentlichen, wenn nicht sogar das wesentliche Symbol unseres Nationalstolzes“. Derlei Symbole würden immer dann angegriffen, wenn die Grundlagen einer Nation, die Lebensfähigkeit eines Staates gesprengt werden sollen. „Deshalb ist der Angriff auf unseren Sieg bei weitem kein Zufall. Der Kampf um die Geschichte kann sehr ernste Folgen haben.“

Das sehe man in der Ukraine, wo innerhalb von zwei Jahrzehnten eine Nation „umformatiert“ und eine „Rasse von Russen gezüchtet“ wurde, die bereit sei, „Russen dafür zu erschlagen, weil sie Russisch sprechen“. In Polen sei das Bewusstsein „umformatiert“ worden, man habe „Rabbiner gezüchtet, die bereit waren, den Antisemitismus zu rechtfertigen, sowie eine ganze Generation von Russophoben“ herangezogen.

Leider habe man sich in Russland jahrelang nur verteidigt und entschuldigt. Der sowjetisch-deutsche Nichtangriffspakt von 1939 sei vom Volksdeputiertenkongress der UDSSR verurteilt worden. Gegenüber Polen „haben wir uns unzählige Male entschuldigt, keiner weiß, wofür. Aber es gibt nichts, wofür wir uns entschuldigen müssten.“

Denn England und Frankreich hätten „Polen nur deshalb Sicherheitsgarantien gegeben, damit Hitler unverzüglich den Krieg gegen Polen beginnt und weiter gegen die Sowjetunion vorgeht. Den sowjetisch-deutschen Nichtangriffsvertrag hasst man im Westen deshalb so sehr, weil das die Zerstörung der westlichen Pläne zur Organisation des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion im September 1939 bedeutete. Wir zerrissen diese Pläne“ und besiegten den Faschismus.

Heute werde um die Geschichte erbittert gekämpft. In einer Resolution habe das Europaparlament „uns beschuldigt“, dass die Sowjetunion die gleiche Verantwortung für den Weltkrieg trage, wie das faschistische Deutschland. Nikonow empfindet das als Blasphemie und klärt die Fronten auf seine Weise. Nachdem Großbritannien die Europäische Union verlassen habe, „ist in der EU praktisch nicht ein Land geblieben, das nicht entweder Teilnehmer an der faschistischen Achse war, mit dem faschistischen Deutschland verbündet oder von ihm besetzt war. Die gesamte Europäische Union, das war in der Vergangenheit die Hitler-Koalition oder jene, die sich vor ihr verbeugt haben. Dort gab es nicht ein Land, das Hitler widerstanden hat. Auch Frankreich war besiegt und seine Fabriken arbeiteten für Deutschland. Das sind die, die uns heute verurteilen.“ Er vergaß unter anderem, dass der Diktator Stalin anlässlich der deutschen Besetzung von Paris ein Glückwunschtelegramm an Hitler schickte, das die Prawda auf der ersten Seite veröffentlichte. Und während die französischen Fabriken unter deutscher Besatzung zwangsweise für Deutschland produzierten, lieferte die Sowjetunion bis zum Juni 1941 Holz, Erze und Erdöl ganz freiwillig an den Hitlerstaat. Damit konnte unter anderem Flugzeugbenzin für den Luftkrieg mit Großbritannien herstellen.

Ja, sagte Nikonow in seiner Rede, die als Richtschnur für die Bildung der jungen Generation in Russland gemeint war, „wir müssen uns für nichts entschuldigen.“ Sein Großvater Wjatscheslaw Molotow wäre stolz auf seinen Enkel gewesen.

Quelle: Website von Wjatscheslaw Nikonow 28.1.2020; https://v-nikonov.ru/news/194511/.

2020-01-31T19:40:46+00:00