Ein Kremlpropagandist droht den Tscherkessen

Michail Leontjew ist erschüttert. Der TV-Moderator des ersten russischen Fernsehens, der allabendlich zur besten Sendezeit die Propagandasendung „Odnako“ moderiert, hatte geglaubt, „dass wir alle vor diesem schwarz-weiß-Kretinismus, diesen amerikanischen Denkmalstürmern geschützt sind“. Und nun das! In dem südrussischen Ort Adler im Verwaltungsbezirk Sotschi am Schwarzen Meer, wurde ein Denkmal abgebaut, dass den Soldaten der Zarenarmee gewidmet war, die den Kaukasus für das russische Imperium erobert hatten. Der Kaukasuskrieg währte 100 Jahre und endete 1864 mit der Vertreibung und dem Völkermord am Volk der Tscherkessen.

Russische Nationalisten wie Leontjew wollen diese Lesart nicht wahrhaben. Für sie gab es keinen Völkermord, die Vertreibung von einer Millionen und mehr Tscherkessen hat für sie nie stattgefunden. Nun ja, räumt er ein, es habe einen „innerstaatlichen Krieg“ gegeben, gewissermaßen einen „Bürgerkrieg“ innerhalb Russlands. Was eine Lüge ist. Denn die Armeen der Zaren in St. Petersburg, unterstützt von Kosaken, haben im 18. und 19.Jahrhundert einen Eroberungskrieg gegen die freien Völker des Kaukasus geführt. Erst dadurch geriet der Kaukasus, der zuvor nie zu Russland gehört hatte, unter die Knute der russischen Zaren.

Leontjews zynischer Kommentar: „Ja, ihr seid unter die Räder der Geschichte geraten. Herzliches Beileid und RIP. Aber das ist kein Grund, die Denkmäler der russischen Soldaten abzureißen! Das muss angesprochen werden. Es muss eine Reaktion erfolgen.“ Um es noch einmal klar zu sagen, es handelt sich um ein Denkmal, errichtet im Jahr 2020, das den blutigen Eroberern huldigt und das die Nachfahren der Unterdrückten, die heute noch im Kaukasus leben, nicht hinnehmen wollten. Das Denkmal ist inzwischen abgebaut.

In einer seiner jüngsten Sendungen explodierte Leontjew förmlich: „Verstehen Sie, dass es einen solchen Präzedenzfall nicht geben kann! Niemand darf unsere Denkmäler anfassen!” Mit einer zügigen Volte geht er zum gerade abgehaltenen Verfassungsreferendum über.  “Worum geht es bei den Verfassungsänderungen? Fasst die Denkmäler nicht an! Fasst nichts an – Punkt. Denn wir haben unsere eigene Geschichte, und wir weigern uns, die Richter über unsere eigene Geschichte zu sein. Das tun wir nicht mehr. Eigentlich besteht die gesamte Putin-Ideologie, ihr kolossaler Wert und ihre Errungenschaft darin, dass wir die Stücke der russischen Geschichte nicht auseinander reissen – sie ist ein Ganzes, sie ist großartig, sie ist schrecklich, sie ist, was sie ist – wir lieben sie und wir sind stolz auf sie – Punkt!“

Dann wird der Kremlpropagandist prinzipiell: „Es reicht! Wir verstehen, dass es eine alternative Position gibt. Eine Alternative zu denen, die für die Änderungsanträge (der russischen Verfassung) gestimmt haben. Diese alternative Position ist die unserer Feinde.“ Wer gegen die – inzwischen mit zweifelhaften Methoden verabschiedeten – Verfassungsänderungen ist, sei ein „Feind Russlands“, befindet der staatlich bestallte TV-Moderator. Und da gebe es nur zwei Möglichkeiten. „Also, Leute. Ihr habt zwei Möglichkeiten. Erstens: Wir tolerieren euch, und wir weisen euch eure Aufenthaltsorte zu. Oder – wir vernichten euch. Zwei Optionen. Ich würde die erste vorziehen. Die ist humaner. Und die Hände müssten nicht schmutzig werden. Aber – wir werden euch keine Zugeständnisse machen! Nein! Keine Zugeständnisse! Nein! Es gibt keine Grundlage für Zugeständnisse. Nicht aufgrund des Abstimmungsergebnisses oder des gesunden Menschenverstandes oder der Verantwortung für unser Land – niemand wird mehr Zugeständnisse an irgendjemanden machen. Man hat euch gesagt, dass ihr diese Linie nicht überschreiten sollt, die Linie, die für euch gezogen worden ist, und man hat euch gesagt, dass ihr dort bleiben sollt, und ihr werden dort bleiben (Tscherkessen leben heute in den russischen Teilrepubliken Kabardino-Balkarien, Karatschajewo-Tscherkessien, Adygeja und im Krasnojarskij Kraj – mq). Wenn ihr sie überschreitet – werdet ihr zerschlagen, in vollem Umfang, Punkt. Wir haben euch gewarnt. Die Spielregeln sind festgelegt worden. Ihr seid hier geduldet! Seid froh, dass ihr hier geduldet werdet, dass ihr existiert! Weckt kein Monster auf. Das ist es, wovon die Rede ist.”

Damit hat sich Leontjew, der eine ethnische Minderheit wie die der Tscherkessen, aber auch jegliche Opposition zum russischen Staat, mit Vernichtung bedroht, als faschistoider Handlanger eben dieses Staates präsentiert. In den oberen Etagen der Macht schaut man mit Wohlgefallen auf den Propagandabüttel. Leute wie er werden in Russland heute mehr denn je gebraucht.

Siehe https://www.facebook.com/nartheku/videos/937549790057550/UzpfSTEwMDAwMDQwNTMxODM1NzpWSzozMzIwNTQwMjQxMzQzOTAw/?multi_permalinks=3321489507915640&notif_id=1594472985865307&notif_t=feedback_reaction_generic

2020-07-12T05:37:24+00:00