Grigorij Jawlinskij, Politologe und Wirtschaftswissenschaftler, Mitbegründer der russischen Oppositionspartei Jabloko und einer der scharfsinnigsten Kritiker dees Putin-Regimes, hat sich auf seiner Website unter der Schlagzeile „Der vergiftete Ruf“ zum Fall Nawalny geäußert (Yavlinsky.ru, 4.9.2020; https://www.yavlinsky.ru/article/otravlennaya-reputatsiya/):
“Warum glaubt niemand – kein Staat der Welt, keine internationale Organisation -, was man in Russland über die Vergiftung Navalnys sagt?
Wahrscheinlich deshalb, weil niemand, außer Russland, die Urinröhrchen seiner Athleten vertauscht. Wahrscheinlich deshalb, weil nur `Touristen` aus Russland die Sehenswürdigkeiten von Salisbury mit gefälschten Dokumenten besuchen und dort plötzlich jemanden vergiften. Wahrscheinlich, weil es die russischen Behörden sind, die in anderen Ländern der Welt hybride und verbrecherische Kriege führen und heimlich ihre Bürger begraben, die in diesen Kriegen gefallen sind.
Und da gab es noch Explosionen von Häusern in Moskau, die Vergiftung von Jurij Schtschekotschichin, die Ermordung von Boris Nemzow in der Nähe der Kremlmauer… Die Ermittlungen in all diesen Fällen ertranken in Lügen, die in den höchsten Etagen der russischen Macht geduldet wurden.
Früher oder später wird ein Staat mit einem derart negativen Ruf, beschmutzt durch Lügen und Fälschungen, der sich völlig diskreditiert und sich selbst total in Misskredit gebracht hat, zum Objekt von Angriffen, ob fair oder nicht. Er wird zum Sündenbock der Welt.
Lügen sind eine Waffe im Kampf gegen den Feind, und da Putins Behörden sich selbst als “separate Zivilisation” betrachten, sehen sie ihre Mission in der Konfrontation mit dem Westen und ihrer eigenen ständigen Präsenz an der Macht. Deshalb belügen sie ständig die ganze Welt und ihr eigenes Volk. Fast immer und fast in allem.
Es gibt keine Gerechtigkeit in der Welt, keinen Weltgerichtshof. Aber es gibt allgemein anerkannte Normen, es gibt die Institution der Reputation. Russland hat eine negative Reputation – es hat sie mit dem Gift seiner eigenen Lügen vergiftet. Das bedeutet, dass niemand in der Welt fast nichts mehr glaubt, was im Kreml gesagt wird. Jetzt, nach mehr als einem Jahrhundert der Lügen, erfordert die Wiederherstellung des Ansehens eine Umgestaltung des russischen Staates.
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Im Sommer 2019 hatte ich die Gelegenheit, mit Grigorij Jawlinskij in Moskau zu sprechen. Was, so fragte ich ihn, könne Europa tun, um eine gemeinsame Sprache mit dem Kreml zu finden. Seine Reaktion war schnell und eindeutig. „Ich sage Ihnen: Putin versteht nur die Sprache der Macht, der Stärke… Putin hat keine anderen Kriterien, kein anderen Prinzipien als die der Stärke. Wenn ihr dagegen schwachwerdet, wird er angreifen. Er wird euch zwingen, seine Einflusszonen zu akzeptieren, die begrenzte Souveränität der Ukraine anzuerkennen, und er wird Keile zwischen die europäischen Staaten treiben.“ Putin wolle auf keinen Fall, dass die Europäische Union solide auf eigenen Beinen stehe. „Er unternimmt alles, damit das nicht stattfindet. Aber das zu verhindern, hängt von euch selbst ab.“
Ein prosperierendes, demokratisches, selbstbewusstes und geeintes Europa ist die beste Lebensversicherung, lautete die Botschaft Jawlinskijs. „Wir sollten auf den Russen hören!“ schrieb ich in meinem Buch Russland. Auferstehung einer Weltmacht? (S.232/233), erschienen im April 2020 im Ch. Links Verlag.